Auf meiner bisherigen Reise und meinen Einsätzen als Volontärin habe ich besonders die Arbeit mit Tieren zu schätzen gelernt - vor allem während der Zeit auf Sizilien in der Tierschutz-Ranch, die sehr prägend für mich war. Schon damals war mir klar, dass dies nicht das letzte Volontariat im Bereich Tierschutz bleiben sollte. Bislang hatte ich mich allerdings eher in meiner Komfortzone bewegt, da ich mich um Hunde kümmerte - einem Tier, welches mir sehr vertraut ist. Meine Zeit in Frankreich wollte ich nutzen, um zum einen wieder im Tierschutz tätig zu werden und zum anderen, um mit einer mir bislang eher unvertrauten Spezies zu arbeiten: Pferden.
Meine Station für die nächsten zwei Wochen hieß Grignoncourt. Noch nie davon gehört? Kein Wunder. Das kleine Dörfchen liegt eine 40-minütige Autofahrt vom nächsten Bahnhof entfernt - also mitten in der Provinz. Nicht zu verwechseln mit der nach Lavendel duftenden, französischen Provence.
Als ich auf dem Hof ankam, staunte ich nicht schlecht. Die Koppeln, auf denen die Pferde ausgelassen galoppierten oder friedlich grasten, reichten kilometerweit. Ließ man den Blick weiter schweifen, so konnte man Wälder und Weinberge sehen. Gepaart mit einem bombastischen Sonnenuntergang war der Anblick wirklich traumhaft. Der Gedanke, der mir direkt bei meiner Ankunft in den Kopf schoss, war, dass dies ein Paradies für Pferde war.
Die Unterkunft, welche sich die Besitzerin mit zwei Volontären teilte, bildete jedoch einen krassen Kontrast zu dem friedlichen Pferdeparadies. Alles wirkte sehr…provisorisch. Überall standen gestapelte Kartons und viel Krimskrams. Dieser wüste Zustand war aber dem geschuldet, dass sich der Gnadenhof mitten im Umzug befand. Der gesamte Hof ist kurz vor meiner Ankunft von der Schweiz nach Frankreich gezogen - verständlich, dass es im Haus mehr als chaotisch aussah. Zudem meinte die Besitzerin, dass ihr das Wohl und die Eingewöhnung der Pferde zunächst wichtiger gewesen sei, als das Ausräumen der vielen Kartons. Später, als mir mein Zimmer gezeigt wurde, machte ich Bekanntschaft mit meinem Roommate für die kommenden zwei Wochen: Sumely. Eine super süße Schnauzer-Mischlings-Dame. Zwar gab sie bereits in der ersten Nacht ihre Schnarchkünste zum besten, aber ich schloss sie trotzdem direkt in mein Herz.
Als der nächste Morgen anbrach, wurde ich von einer kalten Hundeschnauze und einem wedelnden Schwanz, der unaufhörlich gegen den Nachttisch schlug, geweckt. Es war wohl an der Zeit aufzustehen und einen Spaziergang mit meiner neuen besten Freundin zu machen. Der positive erste Eindruck, den ich gestern bereits von der Umgebung hatte, bestätigte sich bei der morgendlichen Gassirunde nochmals. In Grignoncourt schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Unser Weg führte uns einmal quer durchs Dorf entlang der alten Steinhäuser mit ihren liebevoll gestalteten Vorgärten. Nach schlappen drei Minuten erreichten wir ein historisches Badehaus, wo sich Sumely direkt in eine der Tränken warf und fröhlich das kalte Quellwasser trank.
Nachdem wir das Badehaus passiert hatten, wurde der Blick auf endlos weite Felder und Wälder freigegeben. Ich war wirklich sehr begeistert von der Ruhe und Idylle, die dieser Ort ausstrahlte und musste direkt ein paar Fotos knipsen. Auch von den charmanten Häusern - sie sahen einfach zu schön aus! Sumely und ich folgten dem Weg, der nun an ein paar Eseln vorbeiführte, als plötzlich ein Fahrrad hinter mir klingelte und eine aufgeregte Frau rief „Madame, Madame!“ Es folgte ein französischer Monolog, bis ich sie unterbrach. Ich versuchte ihr klar zu machen, dass sich mein Französisch auf die absoluten Grundkenntnisse beschränkte. Nun fuhr sie im gebrochenen Englisch fort und als mir plötzlich der Grund ihrer Aufregung klar wurde, wurde mir ganz mulmig zumute. In den vergangenen Monaten ist es angeblich immer wieder zu Einbrüchen in der Nachbarschaft gekommen. Bei den Einbrechern handelte es sich wohl um Leute, die nicht aus der Gegend kamen und die Nachbarschaft wochenlang ausspionierten, Fotos von ihren Häusern machten und ihre Tagesabläufe beobachteten. Um diesen Diebstählen Einhalt zu gebieten, verbündete sich die Nachbarschaft zu einer Nachbarschaftswache. Tja, um es kurzzufassen: Die aufgeregte Dame hielt mich tatsächlich für einen Spitzel, der Teil einer verbrecherischen Diebesbande ist und so nahm sie direkt ihre Pflicht als Wachbeauftragte wahr, rückte auf dem Fahrrad aus und wollte den Fremdling stellen. Im ersten Moment war ich geschockt und gekränkt zugleich, dass mir jemand eine solche Tat zutraute, erklärte ihr aber ganz freundlich, dass ich lediglich die Häuser sehr schön fände. Das muss sich wohl wie eine sehr lahme Ausrede angehört haben, aber als ich ihr weiter erklärte, dass ich zur kürzlich zugezogenen Pferderanch gehörte, wurde sie etwas versöhnlicher.
Dass der neue Eindringling keine Gefahr darstellte, machte wohl schnell die Runde im Dorf, denn von nun an wurde ich nicht mehr mit dem Rad verfolgt, sondern freundlich von allen Dorfbewohnern über ihre Hecken hinweg gegrüßt.
Nach der morgendlichen Gassirunde stand mein eigentlicher Einsatz im Pferdestall an. Ich fühlte mich ein wenig unsicher, da meine bisherige Erfahrung mit Pferden lediglich auf einem einwöchigen Reiterhofurlaub im Alter von 11 Jahren beruhte. Ich lief zum Stall und wurde dort von dem Mitarbeiter begrüßt, welcher für die rund 30 Pferde und von nun auch für mich verantwortlich war. Er zeigte mir alle Ställe und machte mich mit den Tieren vertraut, sodass ich schon sehr bald meine anfängliche Berührungsangst überwinden konnte. Respekt vor der Größe der Pferde hatte ich dennoch. Zum Glück gab es auf dem Gnadenhof auch Pferde meiner Größenordnung: fünf Ponys, die es aber faustdick hinter den Ohren hatten. Pferdeküsse verteilten sie nämlich nur zu gern - einen davon kassierte auch ich als Andenken. Während des Rundgangs blieb ich jedoch davon verschont. Mir wurden alle Aufgaben erklärt, die ich von nun an übernehmen würde, die da waren: füttern, striegeln, ausmisten, auskratzen der Hufe, medizinische Versorgung und mein persönlicher Favorit: Flechtfrisuren für die Ponys kreieren.
Viele Aufgaben waren neu für mich, aber man hatte schnell den Dreh raus. So auch folgende Aufgabe, die komplettes Neuland für mich war, ich aber liiiiebte: Traktor fahren! So cool und definitiv eines der Highlights während meiner Zeit in Frankreich.
Mir wurden allerdings nicht nur meine Aufgaben erklärt, sondern auch der Hintergrund der Pferde und ihre Schicksale. An dieser Stelle sei gesagt, dass alle, die Tierleid schwer ertragen können, ab hier nicht weiterlesen sollten.
Viele der Pferde kamen auf den Gnadenhof, da sie bereits alt waren und von ihren vorherigen Haltern abgeschoben worden. Ist ein Pferd alt, können sie schnell zu einer finanziellen Belastung werden. Schließlich werden sie mit voranschreitendem Alter gebrechlicher und benötigen mehr medizinische Versorgung. Auch sind viele alte Pferde nicht mehr so einsatzfähig wie junge Pferde und somit kann wenig Profit aus ihnen geschlagen werden. Oftmals werden altersschwache Tiere auch an einen Schlachter verkauft, um zum Schluss noch mal abzukassieren. Ehrlich gesagt hatten die Pferde, die auf den Gnadenhof ihre letzte Ruhe finden, können das große Los gezogen. Schließlich bekamen sie dort die Aufmerksamkeit und Freiheit, die ihnen gerecht wurde.
Neben den altersschwachen gab es ein paar Pferde auf dem Hof, die weitaus schlimmere Traumata erleben mussten. Allein das Schreiben der Wörter fällt mir schwer, da ich nach wie vor geschockt und zugleich angewidert bin, zu welcher Schandtat einige Menschen fähig sein können. Ein paar der Pferde des Gnadenhofs wurden von ihrem vorherigen Haltern sexuell missbraucht. Da ich im ersten Moment nicht glauben konnte, was mir erzählt wurde, stellte ich Nachforschungen an und tatsächlich ist der sexuelle Missbrauch von Tieren weltweit ein schwerwiegendes Problem. Doch bevor ich hier weiter in die tiefsten Abgründe der sogenannten Zoophilie vordringe, verweise ich lieber auf einen Artikel, der über das Thema aufklärt, allerdings wirklich schwer zu verdauen ist. Wem meine kurze Ausführung über Zoophilie bereits schwer im Magen lag, dem rate ich davon ab, den Artikel zu lesen.
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Mit dem Wissen, dass alle Pferde eine bewegende Vergangenheit hatten, wuchs mein Mitgefühl für die Tiere. Ich wollte ein Vertrauen zu ihnen aufbauen und ihnen das Gefühl von Wärme vermitteln. Da die meisten Pferde eine enorme Ruhe ausstrahlten, gelang mir diese Herausforderung ganz gut. Selbst das Ausmisten hatte etwas Meditatives und machte richtig Spaß. Wer hätte gedacht, dass ich so etwas je sagen würde. Die Pferde, die Natur, Sumely, das fantastische Wetter - all das lies die zwei Wochen wie im Flug vergehen und zu einer unglaublich bereichernden, wunderschönen Zeit werden. So schön, sodass ich nun, wo ich diesen Beitrag schreibe, ganz wehmütig werde, wenn ich daran zurückdenke.
Ich liebe deine Beiträge immer mehr, wundervoll geschrieben, super